Betrachtungstext: 5. Osterwoche – Sonntag (B)

Vereint mit dem Weinstock, der Christus ist – Um mehr Frucht zu bringen – Alle sind wir Reben desselben Weinstocks

Weinreben im Weingarten bei Sonnenuntergang

DIE ZUHÖRER JESU sind mit der Arbeit im Weinberg gut vertraut, und sei es nur aus den heiligen Texten des Volkes Israel, in welchen die Weinberge wiederholt eine Rolle spielen. Christus nutzt einen Aspekt daraus, um die Beziehung der Jünger zu ihm zu veranschaulichen. Ich bin der wahre Weinstock und mein Vater ist der Winzer. (…) Wie die Rebe aus sich keine Frucht bringen kann, sondern nur, wenn sie am Weinstock bleibt, so auch ihr, wenn ihr nicht in mir bleibt (Joh 15,1.4).

Papst Benedikt XVI. sah im Bild vom Weinstock und den Reben ein Zeichen der Hoffnung und Zuversicht. Während seines Deutschlandbesuchs im Jahr 2011 erklärte er: „Christus selbst ist durch seine Menschwerdung in diese Welt gekommen, um unser Wurzelgrund zu sein. In aller Not und Dürre ist er die Quelle, die das Wasser des Lebens schenkt, die uns nährt und stärkt. Er selbst nimmt alle Sünde, Angst und Leid auf sich und reinigt und verwandelt uns schließlich geheimnisvoll in gute Reben, die guten Wein bringen. Manchmal fühlen wir uns in (...) Stunden der Not wie in die Kelter geraten, wie Trauben, die völlig ausgepresst werden. Aber wir wissen, mit Christus verbunden werden wir zu reifem Wein. Auch das Schwere und Bedrückende unseres Lebens weiß Gott in Liebe zu verwandeln. Wichtig ist, dass wir am Weinstock, bei Christus ,bleiben‘.“1

Die Verbundenheit mit Christus ist der Schlüssel zum Glück, und diese Verbundenheit ist Ausdruck der Liebe. Dies zeigt sich deutlich in Menschen, die sich lieben. Denn aus ihrer Liebe heraus achten sie darauf, ihr Denken, Wollen und Fühlen in Einklang zu bringen. Schließlich teilen sie alles so intensiv miteinander, dass sie sich für die Dinge des anderen interessieren, als wären es ihre eigenen. Durch den Dialog des Gebets gewinnt unsere Verbundenheit mit Jesus an Tiefe, und durch die Gnade, die uns in den Sakramenten geschenkt wird, werden wir ihm immer ähnlicher.


ES MAG Momente geringerer Begeisterung geben, in denen das Licht weniger hell, und Tage, an denen alles mühseliger zu sein scheint. Dann ist es wichtig, sich daran zu erinnern, dass der Herr das Leben, das Wachstum und die Früchte schenkt. Wie viele Pflanzen nach dem Winter zurückgeschnitten werden, um im Frühjahr wieder auszutreiben, so sind auch wir herausgefordert, uns zu erneuern. „Hast du aus dem Munde des Meisters nicht das Gleichnis vom Weinstock und den Reben vernommen?“, fragte der heilige Josefmaria, „Sei getrost: Er fordert viel von dir, weil du eine Rebe bist und Frucht bringst … Er beschneidet dich, ut fructum plus afferas, damit du mehr Frucht bringst. Natürlich schmerzt dieses Beschneiden und Herausreißen! Aber wie köstlich sind hernach die Früchte und wie reif die Werke!“2

Papst Franziskus lehrte in seiner Katechese über die Hoffnung, dass Jesus, um Frucht zu bringen, die Liebe bis zum Äußersten gelebt hat, indem er sich wie ein Samenkorn unter der Erde aufbrechen ließ. Genau dort, am tiefsten Punkt seiner Erniedrigung – der zugleich der Höhepunkt der Liebe ist – keimte die Hoffnung auf. „Hört gut zu“, sagte der Papst, „wie die Verwandlung aussieht, die das Osterfest hervorbringt: Jesus hat unsere Sünde in Vergebung verwandelt, unseren Tod in Auferstehung, unsere Angst in Vertrauen. Daher ist dort am Kreuz unsere Hoffnung entstanden, und sie entsteht dort immer von neuem: Daher kann mit Jesus unsere Finsternis in Licht verwandelt werden, jede Niederlage in Sieg, jede Enttäuschung in Hoffnung.“3

Im Wissen darum, dass Gott nur unser Wohl sucht und uns daher verbessern und stärken möchte, wollen wir nicht widerstehen, sondern auf den Herrn vertrauen, wenn er das, was stört oder überflüssig ist, entfernt – und sei dies auf dem Weg von Verwirrungen, Missverständnissen oder scheinbar nutzlosen Anstrengungen. Auf diese Weise gewinnt unser Inneres an Vitalität, und unsere Fähigkeit, wie er am Kreuz zu lieben, wächst. Wir werden großzügiger in der Nachahmung der Großzügigkeit Christi.


ES IST WUNDERBAR, zu wissen, dass wir alle Reben desselben Weinstocks sind. Diese Erkenntnis wird uns dazu führen, die Tugenden und Talente der anderen zu bewundern und Gott dafür zu danken, weil er unsere Brüder und Schwestern, unsere Verwandten und Freunde so herrlich und fruchtbar gemacht hat. Auf diese Weise leben wir in Einheit mit Christus und untereinander. Doch während wir die Leidenschaft für die Einheit innerlich genießen, sollen uns die Unzulänglichkeiten unserer Mitmenschen nicht entmutigen. Wir können sie als eine Wachstumschance für sie und für uns selbst betrachten. Ohne Groll und Vorbehalte wollen wir allen dienen, denn wir alle sind mit Jesus verbundene Rebzweige.

Die Vereinigung mit Christus bedeutet die Vereinigung mit allen anderen, denen er sich schenkt. Wir können Christus nicht losgelöst von den anderen für uns haben. Der heilige Papst Johannes Paul II. lehrte: „Die Reben haben kein Eigenleben: Sie leben nur, wenn sie mit dem Weinstock verbunden bleiben, aus dem sie hervorgegangen sind. Ihr Leben ist mit dem des Weinstocks identisch. Zwischen dem Weinstock und den Reben zirkuliert derselbe Saft; beide tragen dieselbe Frucht. Es besteht also ein unauflösliches Band zwischen ihnen, das sehr gut das Band zwischen Jesus und seinen Jüngern symbolisiert: Bleibt in mir und ich bleibe in euch (Joh 15, 4).“4

Der heilige Josefmaria wies darauf hin, dass die christliche „Liebe nicht mit einer bloß sentimentalen Haltung oder Kameradschaft (...) verwechselt werden darf. Sie bedeutet vielmehr, uns für den Nächsten zu öffnen und (...) in jedem Menschen das Bild Gottes zu ehren, im Wunsch, dass auch der andere dieses betrachte, um sich dann Christus zuzuwenden.“5 Maria, deren Fleisch und Blut Jesus geerbt hat, ist das Geschöpf, das am innigsten mit Gott verbunden ist und das Antlitz Christi am besten widerspiegelt. Sie erinnert uns daran, dass alle unsere Schwestern und Brüder im Glauben wie wir mit dem wahren Weinstock verbunden sind.


1 Benedikt XVI., Predigt, 22.9.2011.

2 Hl. Josefmaria, Der Weg, Nr. 701.

3 Franziskus, Audienz, 12.4.2017.

4 Hl. Johannes Paul II., Audienz, 25.1.1995.

5 Hl. Josefmaria, Freunde Gottes, Nr. 230.